Die Perfektion (wie ich sie mir vorstelle 😊) und der Spirit of We

Ich bin klassischer Musiker, nämlich Geiger. Wenn wir ohne Dirigent Musik in einer kleinen Gruppe von Musikern erarbeiten, also Kammermusik, besteht die Arbeit darin, ein möglichst gemeinsames Verständnis der gedruckten Noten zu entwickeln. Praktisch hat jeder, wie von vielen Dingen im Leben, eine etwas andere Vorstellung der Musik, es ist aber ein Erfordernis, wenn man schließlich etwas im Konzert darbieten, oder für eine CD aufnehmen will, dass man diese Vorstellung komplett aneinander angleicht. Das birgt natürlich ein erhebliches Konfliktpotential.

Manchmal kann man Kompromisse finden, oder das beste aus guten Ideen verbinden, manchmal gibt es nur ein entweder – oder und das bedeutet, jemand muss etwas tun und vor Publikum vertreten, was er oder sie eigentlich ablehnt. Einige berühmte Streichquartette haben sich z. B. so verkracht, daß sie auf ihren Reisen in 4 verschiedenen Hotels wohnten und außerhalb der Proben kein Wort mehr miteinander sprachen, obwohl sie einen Großteil ihrer Zeit oder gar ihres Lebens miteinander verbrachten.

Natürlich war ich selbst oft genug in solche Konflikte geraten, habe schlechte Stimmung verbreitet, oder war frustriert. Als Experiment habe ich mir dann für ein konkretes Projekt vorgenommen, es so gut wie möglich im Sinne von Spirit of We zu versuchen. Das bedeutete für mich, dass der Weg eines herzlichen und respektvollen Miteinanders wichtiger war, als musikalische Details des Ergebnisses.

Das Ergebnis war verblüffend.

Meine Art Geige zu spielen ist recht weit vom „Üblichen“ entfernt, ich suche mir natürlich Mitspieler aus, die mich ein wenig mehr verstehen, als andere, trotzdem muß ich immer erst meine Kollegen überzeugen, etwas für sie Ungewohntes zu tun. Diesmal gelang es mir, es als Einladung in die Gruppe zu bringen, mit mir ein Stück auf dem Weg zu einem neuen Klang zu gehen, soweit es für sie stimmig war, das klappte nur teilweise so, wie ich es gewünscht hatte, dennoch konnte ich das akzeptieren und war nicht frustriert. Denn es ergab sich ein schöner gemeinsamer Fluss der Musik, ein gleiches Verständnis und Empfinden der Kurven von Spannung und Entspannung, das so stark war, daß es uns über unterschiedliche Auffassungen zum Klang einfach hinweg trug. Wir hatten eine, bei allem Ringen um den Inhalt immer freundlich, respektvolle, gar herzliche Arbeitsatmosphäre, etwas das ich so nicht kannte und nicht für möglich gehalten hätte. Die Arbeit war effizient und am Ende sehr erfolgreich.

Wie konnte das so funktionieren?

Ich mußte immer, so sehr ich auch einen Plan und einen Wunsch hatte, dafür offen sein, dass das Ergebnis ein anderes sein konnte. Der Kontakt und die Beziehung zu den Kollegen hatte Priorität, die Musik entstand daraus als etwas Gemeinsames. Obwohl ich als 1. Geiger vielleicht so eine Art Richtlinienkompetenz habe, habe ich für meine Anliegen nur geworben, teils wiederholt und auch wenn die Gruppe sich manchmal nur ein wenig in diese Richtung bewegt hat, konnte ich diese Entwicklung für mich als gutes Ergebnis sehen. Vertrauen und dem Ganzen Zeit zu geben waren ebenfalls wichtige Elemente. Ich spürte, dass meine Impulse, die ich nonverbal, nur durch meine Spielen quasi vorbildhaft hinein geben konnte immer auch einen Effekt hatten. Mit dem Fokus auf das, was schon gut ging aus meiner Sicht, konnte ich viel Freude im Kontakt mit den Kollegen und an der Musik haben, alles weitere würde kommen oder eben diesmal noch nicht. Der ganze Prozess war ungleich erfüllender als ich das sonst oft empfunden habe, wenn ich mit viel Druck versucht hatte , ein für mich klares Ziel mit der Gruppe zu erreichen und es dadurch bei allen Beteiligten zu Frustration kam.

Thomas Fleck

MDR-Sinfonieorchester

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